ECSILE MAGAZINE
ISSUE 3
Tag
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„Zum elektrischen Licht fortschreitend, streben sie unablässig nach Helligkeit und mühen sich ab, selbst den geringfügigsten Schatten zu verscheuchen“, schreibt der japanische Schriftsteller Tanizaki Jun’ichiro. In seinem bekannten und kontroversen Essay „Lob des Schattens“ macht dieser den Entwurf einer japanischen Ästhetik.
Dessen Stil ist – im Gegensatz zur westlichen – nicht so sehr von Licht und Helligkeit geprägt, sondern viel mehr von Dunkelheit und Schatten. Diese sind für ihn wesentliche Merkmale japanischer Formensprache. Dabei geht es vor allem um das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, bei dem das Licht zurückgedr.ngt wird, sodass die Dunkelheit ‚glänzen‘ kann. Ein solcher ‚Glanz der Dunkelheit’ ist für den japanischen Stilisten Ausdruck höchster Schönheit. Und so zeigt sich auch sein Geschmack: „Wenn es an Licht fehlt, sei’s drum – dann vertiefen wir uns eben in die Dunkelheit und entdecken darin ihre eigene Schönheit.“
Wir können nicht sicher sein, ob Herr Jun’ichiro an den folgenden Seiten seine helle Freude (!) gehabt hätte. Vieles in diesem Magazin streift seine Vorstellungen von Ästhetik und Schönheit, anderes wiederum ist erfüllt von Licht, Helligkeit und Farbe und entspricht den gestalteerischen Bedingungen des Japaners kaum.
So sind die Arbeiten des britischen Künstler-Duos Kai & Sunny geprägt von dynamischen Linien- und Farbbewegungen. Ihre Linienbilder zeigen dekonstruierte und fließende Landschaften, die von einer größeren Kraft in Bewegung versetzt und im ständigen Fluss zu sein scheinen. Sie erinnern mal an einen lichtdurchfluteten Canyon, mal an eine sonnige Dünenlandschaft. Ihre dünnen und fein komponierten Linien bewegen sich zwischen Vorder- und Hintergrund, sodass der Betrachter den Eindruck bekommt, das Sonnenlicht schiene zwischen ihnen durch. Die Dunkelheit wird verdrängt und Schatten spielen nur noch eine geringfügige Rolle.
In „Five Days to Machu Picchu“ nehmen uns Sascha Schilling und Michelle Flunger mit auf eine fotografische Reise zur Inka-Ruinenstadt Machu Picchu in den peruanischen Anden. Machu Picchu heißt übersetzt so viel wie „alter Gipfel“ und die alte Stadt hoch in den Bergen ist dem Licht der Sonne so nah wie nur möglich. Der Weg zu den sonnenbeschienenen Terrassenbauten und hellen Gipfel führt jedoch durch dunkle Täler im Schatten der Berge. Der Inka-Herrscher und Erbauer der Stadt war ein Anhänger des Kults um den Sonnengott Inti, der seit jeher als goldene Sonnen-Scheibe mit menschlichem Gesicht dargestellt wird und den Menschen das Licht bringt.
Die Street-Photography Sebastian Mättigs zeigt uns die japanische 30-Millionen-Stadt Tokio bei Tag. Seine Fotoserie „Tokyo Days“ zeichnet sich weniger durch den Gegensatz von Licht und Schatten aus als vielmehr durch den von Tradition und Moderne, die sich hier im starken Wechselspiel miteinander befinden. Auf der einen Seite Frauen in japanischen Kimonos, Parks voll traditionellem Grün sowie alteingesessene Häuser und Geschäfte in kleinen Nebenstraßen.
Auf der anderen Seite Ansichten einer hypermodernen Mega-City, die voll ist von Menschen, Technik und Gebäuden. Dieses Tokio findet zwar noch Anklänge an seine japanischen Traditionen, die Herr Jun’ichiro‘s sehr wohl zu schätzen wüsste, jedoch geht es in seiner Größe und Modernität weit über dessen Vorstellungen von Ästhetik hinaus.
光 Hikari (Licht)
Nacht
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„Es ist in der Tat berechtigt, <Dunkelheit> zu den notwendigen Bedingungen zu rechnen, wenn die Schönheit […] beurteilt werden soll“, schreibt der japanische Schriftsteller Tanizaki Jun’ichiro. In seinem bekannten und kontroversen Essay „Lob des Schattens“ macht dieser den Entwurf einer japanischen Ästhetik.
Diese Ästhetik zeichnet sich besonders durch Dunkelheit und Schatten aus, die er als ganz wesentliche Merkmale japanischer Gestaltung betrachtet. Helligkeit und Licht gefallen dem japanischen Stilisten nicht. Für ihn ist vor allem das Wechselspiel von Schatten und Licht interessant, bei dem jedoch die Dunkelheit überwiegt und ‚glänzen‘ kann. Dieser ‚Glanz der Dunkelheit’ ist für ihn Ausdruck höchster Schönheit. So bringt er seinen Geschmack auf den Punkt: „Wenn es an Licht fehlt, sei’s drum – dann vertiefen wir uns eben in die Dunkelheit und entdecken darin ihre eigene Schönheit.“
Wie genau Herrn Jun’ichiro dieses Magazin gefallen würde, können wir nicht sagen. Vieles in diesem Heft jedoch entspricht jedoch seinen ästhetischen Prinzipien und scheint den Vorstellungen von Schönheit des japanischen Ästheten gerecht zu werden:
Obwohl die psychedelische Bilderwelt des australischen Graphik-Designers Leif Podhajsky durch eine eigenwillige Farbigkeit besticht, kommt diese nicht ohne ein gewisses Maß an Dunkelheit aus. Podhajskys auffällige Abstraktionen der Natur, die gespiegelten Ausblicke, die verschlingenden Wellen sowie die verschmelzenden, kosmischen Landschaften haben einen düsteren Hintergrund – und das im doppelten Sinn: Durch die dunklen Farben Blau, Violett und Schwarz können das Rot, Orange, Gelb und Grün seiner Bilder erst besonders leuchten.
Die Fotoserie „Kazakh Impressions“ von Stefan Weimer zeigt fotografische Eindrücke einer Reise in das zentralasiatische Land und die ehemalige Sowjetrepublik Kasachstan. Abgesehen davon, dass Fotografie ohne das Wechselspiel von Licht und Schatten gar nicht funktionieren würde, leben Weimers Kasachstan-Fotos besonders von starken Kontrasten: Schwarze Berge und dunkle Wälder zeichnen sich vor einem wolkenverhangenen Himmel oder von einem spiegelglatten Bergsee ab. Die Weite des Landes wird durch die dunkle Landschaft und den Himmel darüber eindrucksvoll demonstriert, wobei über allem ein gewisser Schatten zu liegen scheint.
Die nächtlichen Ansichten der Mega-Metropole Tokio in Sebastian Mättigs „Tokyo Nights“ treffen Jun’ichiro‘s Ästhetik auf eine besondere Weise. Die unzähligen Neonlichter Tokios verdrängen die Nacht und die Dunkelheit, sodass hier der Kontrast zwischen seinem ‚Lob der Dunkelheit’ und der großstädtischen Helligkeit besonders deutlich wird. Diese Neonlichter-Szenen, die aus dem Schatten der Nacht heraustreten, haben über Jun’ichiro‘s Ästhetik hinaus ihre ganz eigene Schönheit und Anziehungskraft.
影 Kage (Schatten)